Lauterbach packt versprochene Pflegereform nicht mehr an
Die von allen Seiten dringend geforderte Pflegereform wird offensichtlich in der Amtszeit der Ampelregierung nicht mehr kommen, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (Foto) in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die Ansichten der Koalitionspartner über den richtigen Weg gingen zu weit auseinander. Seit einem Jahr kündigt Lauterbach die große Pflegereform für diese Wochen an, jetzt macht er einen Rückzieher und erntet dafür heftige Kritik.
Zwar sei man mit Vorschlägen für eine Pflegereform auf Arbeitsebene fertig, so Lauterbach im Interview mit dem RND. Aber: "Es wird wohl kaum zu einer einheitlichen Empfehlung aller Beteiligten kommen. Dafür sind die Ansichten der verschiedenen Ministerien beziehungsweise der Koalitionspartner zu unterschiedlich", sagt der Bundesgesundheitsminister. "Eine umfassende Finanzreform in der Pflege wird in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich nicht mehr zu leisten sein", so Lauterbach weiter. Die Arbeit der Arbeitsgruppe sei aber eine gute Grundlage für eine große Pflegereform in der nächsten Wahlperiode. "Dann muss sie aber auch kommen."
Vor einem Jahr hatte Lauterbach bei der Verabschiedung der Beitragserhöhungen im Rahmen des Pflegeunterstützungs- und entlastungsgesetzes, kurz Pueg, eine große Pflegereform für dieses Jahr angekündigt und dies bei jeder Gelegenheit wiederholt. In diesem Mai sollten die Vorschläge auf dem Tisch liegen. Jetzt bleiben sie offensichtlich in der Schublade.
In dem Interview hatte Lauterbach auch von einer "geradezu explosionsartig" gestiegenen Zahl der Pflegebedürftigen gesprochen. "Demografisch bedingt wäre 2023 nur mit einem Zuwachs von rund 50.000 Personen zu rechnen gewesen. Doch tatsächlich beträgt das Plus über 360.000." Wie diese Diskrepanz zustande komme, wisse man noch nicht.
Kapitulation und Bankrotterklärung
"Die Bundesregierung kann angesichts der drängenden Probleme in der Pflege nicht noch länger warten. Eine Struktur- und Finanzreform der Pflegeversicherung ist längst überfällig", kritisiert Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach scharf. Es könne nicht sein, dass der Bundesgesundheitsminister unter Verweis auf die unterschiedlichen Ansichten auf ein sofortiges Handeln verzichte. Gerlach: "Diese Kapitulation Lauterbachs ist unverantwortlich!"
"Wenn die Bundesregierung jetzt offiziell erklärt, dass in den nächsten Jahren keine politischen Maßnahmen erfolgen werden, ist das eine Bankrotterklärung", sagt Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbands sozialer Dienste privater Anbieter (BPA). Weil die Aufgabe groß sei, werde nichts getan. "Das setzt die pflegerische Versorgung der Menschen in Deutschland aufs Spiel", so der BPA-Präsident. "Der Kanzler schaut zu. Er müsste seinen Gesundheitsminister, den Arbeitsminister und den Wirtschaftsminister als Krisenkabinett Pflege an einen Tisch holen."
Schnelles Umsteuern notwendig
Maria Loheide, Sozialvorständin der Diakonie Deutschland reagiert ähnlich. "Mit dem aktuell festgestellten dramatischen Anstieg der Zahl pflegebedürftiger Menschen wird deutlich, wie dringend eine umfassende Pflegereform ist. Jetzt nicht zu reagieren, ist grob fahrlässig." Lauterbach müsse jetzt dafür sorgen, dass sich die Koalition endlich über die Finanzierung der Pflege einigt. "Wenn die Pflege vor dem Kollaps bewahrt werden soll, muss die Politik schnell umsteuern."
"Diagnose top, Therapie flopp", kommentiert Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgeberverbands Pflege (AGVP). Der Minister verspreche "Strukturreformen am Sankt Nimmerleinstag" und er schicke die Pflegebedürftigen in die Warteschleife.
Thomas Hartung