Wie eine Zahl über das Heimsterben Schlagzeilen macht
Eine erschreckende Zahl hat die Altenpflege dieser Tage erneut in die Schlagzeilen gebracht: Über 1.200 Pflegeeinrichtungen insolvent oder geschlossen! Die Situation in der Pflege ist in der Tat schwierig, aber die Zahl in den Schlagzeilen suggeriert eine Dramatik, die so nicht existiert. Nur ein Bruchteil der aufgeführten Einrichtungen hat tatsächlich geschlossen und die neu hinzugekommenen fehlen.

AGVP
Die "Deutschlandkarte Heimsterben" macht Schlagzeilen, ist aber mit Vorsicht zu genießen
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Die Zahl stammt vom Arbeitgeberverband Pflege (AGVP). "In den Jahren 2023 und 2024 mussten über 1.200 Pflegeeinrichtungen Insolvenz anmelden oder schließen", schreibt Präsident Thomas Greiner in einer Pressemitteilung, in der er die Situation in der Pflege auf den Punkt bringt: "Niemand in der Gesundheitspolitik kann mehr behaupten, nichts vom Heimsterben gewusst zu haben. Die Not der Heime und der Pflegebedürftigen ist mit Händen zu greifen, regelmäßig melden die Medien neue Insolvenzen. Zur Politik der drei Affen – nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – gesellt sich ein vierter Affe: nichts tun."
Kein Wunder, dass sich die Medien auf die dramatische Zahl aus der "Deutschlandkarte Heimsterben" stürzen und sie in die Schlagzeilen plakativ nach vorne stellen. Doch bei genauerem Hinsehen stellt sich die Situation differenzierter dar.
Nur 330 von 1.200 Pflegeeinrichtungen wirklich dicht
Insgesamt zählte der AGVP 2023 rund 820 Insolvenzen und Schließungen. Im vergangenen Jahr waren es von Januar bis einschließlich Oktober nur 330. Das liegt daran, dass es 2023 eine Reihe von Insolvenzen großer Pflegegruppen mit vielen Einrichtungen gab. Tatsächlich geschlossen wurden 2023 aber lediglich rund 150 Pflegeeinrichtungen und ambulante Dienste. Im vergangenen Jahr verschwanden bis Oktober 130 Pflegeeinrichtungen vom Markt. Zusammen also 280 von 1.200. Die Diskrepanz erklärt sich daraus, dass die meisten insolventen Pflegeeinrichtungen von anderen Betreibern übernommen und weitergeführt werden.
Deutschlandkarte Heimsterben ohne solide Datenbasis
Mit Vorsicht zu genießen ist die Deutschlandkarte Heimsterben auch deshalb, weil keine Neuöffnungen von Pflegeeinrichtungen und Gründungen von Pflegediensten erfasst und gegengerechnet sind. In die interaktive Karte sind zudem weniger als die Hälfte aller Insolvenzen und Schließungen eingetragen. Das liegt daran, dass für viele Einrichtungen keine adress-genauen Daten vorliegen. Hinzu kommt, dass einige als geschlossen eingetragene Pflegeeinrichtungen weiter existieren. Ein Beispiel ist die Hansa-Gruppe, von der mehrere Einrichtungen als geschlossen in der Deutschlandkarte stehen, die aber weiter offen sind.
Der AGVP liest aus seinen Zahlen dennoch, dass sich die Insolvenzwelle 2024 fortgesetzt hat. "Insbesondere in der ambulanten Pflege erfolgten viele Insolvenzen und Schließungen", so Geschäftsführerin Isabell Halletz. "Im Vergleich zu 2023 waren im Jahr 2024 weniger einzelne große Träger von Insolvenz betroffen, dafür mehr kleine und mittlere." Da nur die Schließungen und Insolvenzen erfasst würden, die in den Medien veröffentlicht oder dem Verband gemeldet worden seien, geht Halletz "von einer deutlich höheren Zahl betroffener Unternehmen aus".
Versorgungsdaten eigentlich Kassen- und Länderaufgabe
Der Verband ist sich der Unzulänglichkeiten der Daten bewusst. "Die Deutschlandkarte reflektiert stets unseren Wissensstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Im Kern ist es uns mit unseren Kapazitäten aber nicht möglich, den weiteren Verbleib jeder einzelnen Einrichtung nachzuvollziehen." Es sei allerdings auch nicht Aufgabe des AGVP ein solches Monitoring durchzuführen. "Aus unserer Sicht versagen insbesondere die Kassen, Länder und der Bund, dass es ein solches Monitoring noch nicht gibt." Sie seien für die Sicherstellung der Versorgung verantwortlich und dazu gehöre auch die Ermittlung der Versorgungsdaten.
Thomas Hartung