Koalition blendet desolate Finanzlage der Pflegebranche aus
Bei den Trägern und Verbänden der Betreiber von Pflegeeinrichtungen kommt der Koalitionsvertrag nicht gut an. Unisono bemängeln sie, dass in dem Papier kein Wort zur desolaten finanziellen Lage der Pflegeanbieter zu finden ist – und keinerlei Ansatz, das drängende Problem von zunehmenden Insolvenzen anzugehen. Was sich die Koalition ansonsten vorgenommen hat, wie eine große Pflegereform, findet weitgehend Zustimmung, die Pflegebranche mahnt allerdings zur Eile.

iStock jinga80
Die schwierige Finanzlage der Pflegeanbieter wird im Koalitionsvertrag mit keinem Wort erwähnt
BPA: Pflegeangebote brechen weg
Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) setzt Hoffnungen auf das Pflegekompetenzgesetz, das die Koalition kurzfristig auf den Weg bringen will. "Im vorliegenden Entwurf finden sich zarte Ansätze zur Sicherung der pflegerischen Versorgung in Deutschland", sagt BPA-Präsident Bernd Meurer. Damit könne die neue Bundesregierung "auch ein Stück weit heilen, dass im Koalitionsvertrag die wirtschaftliche Drucksituation und der Personalmangel in der Pflege im Grunde ignoriert werden", so Meurer.
Das Pflegekompetenzgesetz müsse ein Versorgungssicherheitsgesetz werden. Der vorliegende Entwurf treffe auch Aussagen zur Vereinfachung von Vergütungsverhandlungen. "Hier kann die neue Leitung im Bundesgesundheitsministerium ansetzen und die Versorgungslandschaft stabilisieren", fordert Meurer. "Ohne eine wirtschaftliche Absicherung der Einrichtungen brechen die Pflegeangebote weiter weg."
Kritisch sieht der BPA-Vorsitzende die im Koalitionsvertrag vorgesehene Schaffung eines neuen Versorgungssektors und geplante die Stärkung der kommunalen Bedarfsplanung. "Jetzt ist nicht die Zeit für neue Hindernisse, sondern für Flexibilität, Abbau von Regulatorik und Anreize, in die unter Druck stehende Versorgungsstruktur zu investieren", sagt Meurer.
AGVP: Heim-und-Herd-Pflegepolitik wie in den Fünfzigern
Scharfe Kritik kommt vom Arbeitgeberverbands Pflege (AGVP). "Der Koalitionsvertrag ist für die Altenpflege eine einzige Enttäuschung: kein Wort zur Sicherung der Pflegeheime, kein Wort zur wirtschaftlichen Situation der Einrichtungen und kein Wort zu den immer länger werdenden Wartelisten für einen Pflegeplatz", sagt AGVP-Präsident Thomas Greiner. Die geplante Bevorzugung häuslicher Pflege auf Kosten der Heime zerstöre die Versorgungssicherheit für besonders Pflegebedürftige.
Wer einseitig die häusliche und ambulante Pflege fördert, aber Heime finanziell austrocknet, zwingt Frauen zurück in die Häuslichkeit. "Ich frage mich, was die Wirtschaftspolitiker bei SPD und Union reitet, dieser Heim-und-Herd-Pflegepolitik tatenlos zuzusehen", so Greiner. "Man kann nicht jahrelang über Fachkräftemangel klagen und dann eine Pflegepolitik machen, die Menschen aus dem Beruf vertreibt."
BAD: Probleme dulden keinen Aufschub
"Wir vermissen im Koalitionsvertrag insbesondere das klare Bekenntnis, Kostensteigerungen in Pflegeeinrichtungen vollumfänglich, zeitnah, unbürokratisch und rechtssicher zu refinanzieren. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein, ist aktuell aber leider nicht gegeben", sagt Andreas Kern, Vorsitzender des Bundesverbands Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (BAD). Mit Blick auf eine noch zu gründende Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft, um Leistungsarten auf den Prüfstand zu stellen, mahnt Kern zur Eile. "Es muss jetzt endlich etwas passieren! Wir brauchen schnellstmöglich eine handlungswillige und handlungsfähige Pflegepolitik, die die bekannten Probleme in der Pflege ohne weiteren Aufschub angeht."
VKAD: Wirtschaftliche Schieflage mit keinem Wort erwähnt
Enttäuscht zeigt sich der Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD). "Bitter stößt auf, dass die wirtschaftliche Schieflage vieler Einrichtungen und Dienste mit keinem Wort erwähnt wird", kritisiert Barbara Dietrich-Schleicher, Vorsitzende des VKAD. Während viele Einrichtungen unter massiven Außenständen durch Sozialhilfeträger litten und zähe Pflegesatzverhandlungen zu Liquiditätsengpässen führten, bleibt der Koalitionsvertrag zur Finanzkrise in der Pflege still. "Dass sich die angekündigte Bund-Länder-Kommission dieser Problematik annimmt, ist nicht erkennbar", so Dietrich-Schleicher. "Die wirtschaftliche Lage scheint der Politik egal zu sein."
Thomas Hartung