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15. April 2025 | 07:00 Uhr
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"Die Generalistik ist ein Ritt auf der Rasierklinge"

Elisabeth Scharfenberg (Foto) war Pflege- und Altenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, als 2017 die Generalistik im Bundestag verabschiedet wurde. Sie stimmte dagegen. Heute sagt Scharfenberg, ihre Befürchtungen hätten sich bestätigt. Care vor9 fragte die heutige Vorständin der Korian Stiftung, ob sie eine Rückkehr zur eigenständigen Altenpflegeausbildung für möglich hält.

Frau Scharfenberg: Sie haben 2017 gegen das Pflegeberufegesetz beziehungsweise gegen die Generalistik gestimmt – warum?

Ich hatte damals Bedenken, dass die Altenpflegeausbildung hinten rüber fällt, wenn sie mit der Krankenpflegeausbildung zusammengelegt wird. Die Menschen, die sich für die Altenpflege interessierten, so schien mir, würden uns wegbrechen. Von ihrer Persönlichkeit und Voraussetzung her, so glaube ich, würden sie sich nicht für die Generalistik entscheiden und lieber in andere Bereiche gehen.

Waren Sie mit Ihrer Auffassung auf Fraktionslinie?

Da muss ich kurz überlegen… ja, ich denke schon, denn ich habe für die Fraktion gegen die Generalistik gesprochen. Anderenfalls hätte man mich gestoppt. Allerdings gab es auch heiße Diskussionen unter den Grünen. Diejenigen mit Krankenhaus-Hintergrund haben die Generalistik als Chance gesehen: Sie sahen die Pflege aufgewertet und erwarteten ein höheres Potenzial an Pflegekräften.

Und es waren dann die krankenhausnahen Stimmen, die sich letztlich durchgesetzt haben.

Ja, die Berufsverbände wie der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe, der DBfK, kommen in der Regel aus der Krankenhausrichtung. Verbände aus der Altenpflege wie der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste, der BPA, haben sich gegen die Generalistik ausgesprochen, weil sie ein Riesenvakuum an Auszubildenden in der Altenpflege fürchteten. Und ich würde sagen, dass die Bedenken aus der Altenpflege im Parlament zwar gehört wurden, dass aber die Krankenhaus-Stimmen einfach viel lauter waren. Die waren in der Politik offenbar besser vernetzt.

Die fachpolitischen Sprecher aus der CDU/CSU konnten sich nur teilweise für die Generalistik erwärmen. Ich habe beobachtet, dass sie immer mit einem veränderten Blick zurückkamen, wenn sie in ihrem Wahlkreis eine Altenpflegeeinrichtung besucht hatten und dort auf die drohenden Folgen einer Generalistik für die Altenpflege aufmerksam gemacht wurden. Am Ende siegte jedoch die Fraktionsdisziplin bei der Abstimmung.

Hat die Generalistik die Altenpflege in dem Maße beeinträchtigt, wie sie befürchtet haben?

Eigentlich ja, ich habe vor kurzem mit einem Träger gesprochen – es war nicht Korian – und der sagte mir: ‚Wir bilden die Leute aus, aber es bleibt keiner bei uns hängen. Das ist ein Problem, weil wir dafür auch Geld in die Hand nehmen.‘ 

Der Krankenhausbereich, man muss es so sagen, schöpft die Auszubildenden ab. Wie ich schon sagte: Viele mit Altenpflege-Ambitionen fangen die Ausbildung gar nicht erst an. Diejenigen aber, die sich für die Altenpflege interessieren und sich durch die Generalistik nicht abschrecken lassen, wechseln dann aber auch leichtherziger in die Krankenpflege. Letztlich wird dort auch immer noch besser bezahlt als in der Altenpflege, auch sind die Arbeitszeiten oft klarer geregelt.

Man darf auch nicht vergessen: Die Krankenpflege genießt einfach ein besseres Ansehen als die Altenpflege. Über die Altenpflege heißt es doch immer noch: 'Die Arbeit könnte ich nicht machen!'

Wie beurteilen Sie die Chancen für eine Wiedereinführung der eigenständigen Altenpflegeausbildung?

Die Frage ist, was man denjenigen zumuten würde, die es umsetzen müssen. Es war schon eine Mammutaufgabe, die Generalistik umzusetzen. Und das jetzt alles rückabwickeln? Die Frage ist vielleicht eher, wie man jetzt die Generalistik so modifizieren kann, dass die Altenpflege nicht mehr hinten rüber fällt.

In jedem Fall aber muss gehandelt werden. Jetzt steht auch die Evaluation der Generalistik an. Wenn sich da zeigt, dass die Bedenken der Kritiker sich bestätigt haben, muss nachgesteuert werden. Alles andere wäre grob fahrlässig. Die Entscheidung 2017 war definitiv ein Ritt auf der Rasierklinge.

Die große Evaluation wird es aber nicht geben – laut BMG sind nur Evaluationen einzelner Aspekte vorgesehen. Glauben Sie, es ist auch auf dem Wege möglich?

Es muss in jedem Fall die Praxis befragt werden, wo genau der Schuh drückt. Und die Antworten müssen realistisch bewertet werden, ohne Weichzeichner! Am Ende geht es darum, die Versorgung von alten und pflegebedürftigen Menschen nachhaltig zu sichern. Und dafür braucht es genügend und gut ausgebildete Fachpersonen. 

Das Interview führte Kirsten Gaede 

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