"Wir wollen Probleme lösen und nicht Menschen aufbewahren"
Während reihenweise Pflegeheime und Pflegedienste aufgeben, wächst das Münchener Unternehmen aiutanda immer weiter und verdient dabei Geld. In gerade einmal sechs Jahren hat es Gründer und Chef Christoph Schubert (Foto) zum drittgrößten privaten Anbieter in Deutschland geschafft. Er will nicht weniger als die ambulante Hilfe und Pflege revolutionieren. Sein Erfolgsrezept, seine Vision und sein Blick auf die Branche erläutert Schubert Care-vor9-Chefredakteur Thomas Hartung in einem dreiteiligen Interview.
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Im ersten Halbjahr sind einige große Pflegeanbieter in die Insolvenz gerutscht und die gesamte Pflegewirtschaft stöhnt. Wie geht es aiutanda?
Uns geht es glücklicherweise sehr gut. Nichtsdestotrotz, die Situation ist derzeit schwer, aber als moderner, prozessorientierter Verbund von Unternehmen fallen uns ein paar Dinge einfach leichter.
Die Rahmenbedingungen sind doch für alle gleich. Was machen Sie anders?
Einiges. Wir haben zum Beispiel nicht den Druck eines Finanzinvestors im Rücken. Wir finanzieren uns mit einem ausgewogenen Mix aus Eigenkapital, Mezzaninkapital und Fremdmitteln, haben aber bei weitem nicht den Bedarf der Gruppen, die gerade in finanziellen Schwierigkeiten stecken. Dann gibt es noch einen wesentlichen Punkt: Ich bin davon überzeugt, dass die Immobilie immer vom Betrieb getrennt sein sollte. Das ist bei vielen der jetzigen Problemfälle nicht der Fall. Wir investieren in Menschen, nicht in Steine. Außerdem haben wir ein für alle Beteiligten modernes und cooles Produkt.
Wir investieren in Menschen, nicht in Steine.
Was ist der Kern ihres Konzepts von aiutanda?
Wir stellen die Hilfsbedürftigkeit eines Menschen in den Mittelpunkt. Im übertragenen Sinne verstehen wir uns ein bisschen wie das Amazon der ambulanten Gesundheitspflege. Ein einfaches Beispiel: Hilfsbedürftigkeit fängt für mich an, wenn ich nicht mehr alleine einkaufen kann. Dafür gibt es aber ganz unterschiedliche Lösungen. Das kann ein Rollator oder ein Gehstock sein, das kann aber auch jemand sein, der mich abholt und mich beim Einkaufen begleitet, oder jemand, der mir alles bringt und mit mir kocht. Eine Tagespflege kann ebenfalls eine Lösung sein oder auch Essen auf Rädern. Das Beispiel zeigt sehr schön den aiutanda-Ansatz: wir wollen handfeste Probleme lösen und nicht Menschen aufbewahren. Wir helfen ihnen am liebsten zu Hause. Wenn das nicht mehr funktioniert, dann bieten wir anderes Zuhause an, entweder temporär in Tagespflegen oder Kurzzeitpflegen oder durchgängig in Quartierkonzepten und betreutem Wohnen.
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Was ist mit der stationären Pflege?
Wir haben in unseren Einrichtungen auch stationäre Bereiche. Ich schließe das nicht aus, aber es ist nicht das, was ich meinen Eltern oder mir zumuten möchte. Für aiutanda ist die stationäre Pflege die Ultima Ratio, wenn die Hilfsbedürftigkeit es nicht anders zulässt.
Die Pflege hat die großen gesellschaftlichen Trends verschlafen.
Warum?
Unser Konzept folgt den großen gesellschaftlichen Trends, die die Pflege weitgehend verschlafen hat. Das erste ist die Individualisierung. Früher gab es im Internat einen Schlafsaal für 30 Menschen oder im Skiurlaub die Toilette auf dem Gang. Sowas geht heute gar nicht mehr. Der zweite Trend ist die Ambulantisierung. Immer mehr Leistungen, die früher nur stationär möglich waren, können heute auch ambulant durchgeführt werden, etwa Beatmung. Dritter Trend ist eine immer komplexer werdende Versorgung. Menschen haben nicht nur eine Hilfsbedürftigkeit, sondern ganz unterschiedliche, die sich über die Zeit auch noch verändern. Ein weiterer Trend, den ich sehr gut finde: Hilfsbedürftigkeit wird gesellschaftsfähig. Es ist heute kein Thema mehr, über Inkontinenz offen zu sprechen oder seine demenzkranke Mutter zu einer Feier mitzubringen. Schließlich das zunehmende Gesundheits-Delta zwischen Paaren. Der eine Partner ist vielleicht dement und stark pflegebedürftig und der andere noch total fit und aktiv. Diesen Entwicklungen muss die Pflege gerecht werden, und ich glaube, dass dafür die stationäre Aufbewahrung in Altenheimen nicht mehr zeitgemäß ist.
Sie sprechen auf Ihrer Website von über 30 gleichgesinnten Partnern, mit denen Sie die Menschen versorgen. Ist aiutanda eine Art Franchiseunternehmen?
Nein. Bei den Partnerschaften, die wir eingehen, übernimmt aiutanda die Gesellschaftsanteile zu 100 Prozent und der Partner bleibt als Geschäftsführer des Unternehmens an Bord. Unsere Partner entscheiden sich für diesen Weg, weil sie überzeugt sind, in den nächsten Jahren mit aiutanda besser zu fahren, als alleine als Einzelkämpfer weiterzumachen.
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Wie finanzieren Sie die Akquisitionen?
Bisher haben die aiutanda-Gesellschafter das Wachstum mit einem größeren zweistelligen Millionen-Betrag weitgehend aus dem privaten Geldbeutel finanziert. Natürlich setzen wir auch Fremdmittel ein, die aber deutlich geringer sind als die eigenen Mittel.
Wer ist wir bei aiutanda?
Wir sind sechs Hauptgesellschafter, alles Unternehmer. Ich bin als Gründer und CEO aber der einzige, der direkt bei aiutanda aktiv ist. Zusätzlich ist unser Management an aiutanda beteiligt.
Wie viele Standorte haben Sie aktuell?
Wir betreiben bundesweit um die 100 Standorte mit ganz verschiedenen Aktivitäten. In Thüringen sind wird mit unserem Komplettangebot am weitesten.
Wie groß soll aiutanda werden?
Ich habe jetzt kein konkretes Ziel. Aber wir sind momentan der drittgrößte private Anbieter und haben einen Marktanteil zwischen einem und eineinhalb Prozent. Und ich habe schon den Anspruch, dass wir mit unserem Konzept zehn bis 15 Prozent der hilfsbedürftigen Menschen bedienen.
Mieten der Bewohner sind bei uns ein durchlaufender Posten.
Verraten Sie uns Ihren Umsatz?
Wir werden in diesem Jahr ungefähr 180 Millionen Euro Umsatz erreichen, 105 Millionen mit Gesundheits- und Lebenshilfe und 75 Millionen im Bereich Hilfsmittel und Therapie-Management.
Und was ist mit den Mieten?
Mieten sind darin nicht enthalten. Die sind bei uns nur ein durchlaufender Posten. Die geben wir eins-zu-eins vom Vermieter an unsere Mieter weiter. Daran wollen wir nichts verdienen und nichts verlieren. Das ist nicht mein Business. Wir sind kein Vermietungsunternehmen, wir sind ein Dienstleister.
Verdienen Sie damit Geld?
Wir haben positive Cashflows und positive Ergebnisse. Uns geht es wirtschaftlich sehr gut.
Woher kommt eigentlich der Name aiutanda?
Das ist ein Kunstwort ohne tieferen Sinn. Der Name sollte eine moderne Anmutung haben und medizinisch gesund klingen. Reich‘ mal die aiutanda-Salbe rüber, oder letztens eine schöne aiutanda-Massage genossen… Ich könnte jetzt auch sagen, Aiutare ist italienisch und bedeutet helfen, aber das wäre an den Haaren herbeigezogen. In Wahrheit ist der Namen beim Bierchen entstanden.
Christoph Schubert ist Gründer und Chef von aiutanda, dem drittgrößten privaten Pflegeanbieter in Deutschland. Die Ingenieur war Marineoffizier, Unternehmensberater bei McKinsey und Manager in der Automobilindustrie. Sein Einstieg in diese Pflege war die Gründung der Deutschen Fachpflege im Jahr 2011, die er nach fünf Jahren verkaufte. Nach einer Auszeit und Weltreise gründete Schubert 2017 mit vier Partnern aiutanda. Die schnell wachsende Gruppe mit derzeit 2.600 Mitarbeitern und mehr als 6.000 hilfsbedürftigen Kunden führt er alleine, die andere Gesellschafter sind nicht bei aiutanda aktiv. Die Zentrale der Gruppe liegt im Herzen von München, der Marienplatz ist gleich im die Ecke.
Morgen erscheint Teil 2 des Interviews mit Christoph Schubert: Wie aiutanda den schwierigen Rahmenbedingungen der Branche begegnet.