"Wir Kommunalen werden gerade jetzt in der Krise gebraucht"
Kommunale Anbieter sind in der Altenpflege eine Minderheit. Doch sie gewinnen an Bedeutung, ist der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen (BKSB) überzeugt. Gerade in Krisenzeiten seien sie es, sagt Alexander Schraml (Foto) im Interview mit Care vor9, die sich der Daseinsfürsorge verpflichtet fühlten und einspringen, wenn sich andere Träger zurückziehen würden.
Telematikinfrastruktur: Eine Branche unter Druck
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Herr Professor Schraml, die meisten Trägerverbände der Altenpflege sind sehr rege und verpassen kaum eine Gelegenheit, sich zu äußern. Ihr Verband, der Bundesverband der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen, trat in der Vergangenheit eher selten in Erscheinung. Woran lag das?
Alexander Schraml: Ja, es stimmt, wir haben uns viele Jahre im Hintergrund gehalten, aber das hat sich geändert. Der BKSB ist vor 25 Jahren mit wenigen Mitgliedern gestartet, vor vier Jahren hatte er 56, Mitglieder, jetzt sind es 87. Das scheinen auf den ersten Blick nicht viele zu sein, zu berücksichtigen ist aber, dass es sich häufig um große kommunale Verbünde handelt wie das Vivantes Forum in Berlin, mit 18 Häusern unser größtes Mitglied, oder das Münchenstift, die Städtischen Seniorenheime Dortmund und die Städtischen Altenpflegeheime Leipzig. Und man muss sagen, dass unser Bundeskongress gestern in Würzburg mit den Sozialexperten Professor Thomas Klie und Professor Hermann Brandenburg doch recht prominent besetzt gewesen war.
Die kommunalen Anbieter haben an der Altenpflege aber nur einen geringen Anteil im Vergleich zu den konfessionellen und privaten Trägern und den Betreibern aus der Wohlfahrtspflege…
…doch unsere Bedeutung wächst, wir werden gerade jetzt in der Krise gebraucht. Die privaten Träger haben oft keine andere Wahl als den einen oder anderen Standort aufzugeben, denn sie müssen Gewinne ausschütten. Kommunale Träger haben diesen Druck nicht, obwohl sie natürlich auch kostendeckend arbeiten sollten. Sie sind gemeinnützig, sprich gemeinwohlorientiert, und sehen sich gerade in ihrer Rolle als kommunales Unternehmen der Daseinsvorsorge verpflichtet. Wir fordern deshalb auch die Landkreise, Städte und Gemeinden auf, ihre Verantwortung in der Altenpflege wahrzunehmen und zu sagen: 'Zur Not machen wir das eben!' Und tatsächlich geht die Entwicklung jetzt auch in diese Richtung: Die kommunalen Träger erkennen ihre politische Bedeutung, werden selbstbewusster und bündeln ihre Kräfte. Wir beobachten, dass viele unserer Mitglieder expandieren, Standorte übernehmen, Standorten ausbauen oder neu bauen.
Können Sie ein paar Beispiele nennen?
Etwa die Senioreneinrichtungen des Landkreises Würzburg, wo ich lange Geschäftsführer war: Das kommunale Unternehmen startete vor 27 Jahren mit zwei Einrichtungen, inzwischen ist es auf acht Häuser gewachsen und das neunte Heim wird in Kürze eröffnet; auch eine Pflegeschule ist im Laufe der Zeit hinzugekommen. Ein weiteres Beispiel ist das Vivantes Forum, das sehr häufig einspringt, wenn irgendwo ein Pflegeheim in Berlin in Schwierigkeiten ist.
Wie viele kommunale Pflegeunternehmen gibt es? Wie hoch ist nach ihrer Einschätzung der Anteil der Kommunalen an der Altenpflege?
Ich kann ihnen keine Zahlen nennen. Es gibt dazu keine Angaben von den Statistischen Landesämtern oder vom Statistischen Bundesamt. Das Problem ist, dass kommunale Träger oft gar nicht leicht zu identifizieren sind: Viele haben die Gesellschaftsform der Stiftung gewählt – und da Stiftungen neutral auftreten, ist oft nicht gut zu erkennen, wer dahintersteht. Einige entscheiden sich auch für die Vereinsform, wie der kommunale Frankfurter Verband, den wir gerade als Mitglied aufgenommen haben. Ob hinter einer Stiftung oder einem Verein eine Kommune steht, ist also oft nur zu erkennen, indem man die Namen im Aufsichtsgremium beziehungsweise Stiftungsrat mit den Namen der Kommunalpolitiker im Wirkungskreis der Stiftung abgleicht.
Welche Vorteile haben kommunale Träger in der Altenpflege?
Wie gesagt: Wir stehen nicht unter dem Druck der Gewinnmaximierung. Das bedeutet auch, dass wir unser Handeln nicht nach rein ökonomischen Gesichtspunkten ausrichten müssen. Schließlich wollen wir nicht 150-Betten-Burgen auf die Grüne Wiese bauen. Wir wollen, dass Bewohner ganz in der Nähe ihres ursprünglichen Wohnortes bleiben, weiterhin ihre Stammkneipe oder Lieblingsgaststätte besuchen können und die Kirchenglocken hören, die sie vorher auch gehört haben.
Und die Nachteile?
Eigentlich haben die Kommunalen keine strukturellen Nachteile – es sei denn, sie werden mit alten Betriebssystemen geführt. Manche öffentliche Altenpflegeträger hängen noch sehr stark an der städtischen Verwaltung. Wenn aber die Unternehmensleitung nicht unabhängig agieren kann, ist das ein Problem. Für manche Kommune ist es noch schwer einzusehen, dass das operative Geschäft vor Ort und nicht in der Stadtverwaltung stattfindet. Sie haben noch nicht verstanden, was es heißt ein Unternehmen zu führen. Da ist noch Luft nach oben, würde ich sagen…
Das Interview führte Kirsten Gaede