"Verdi raubt Motivation für Assistenzausbildung"
Verdi sorgt dafür, dass es Hilfskräfte kaum einen finanziellen Anreiz gibt, eine Pflegeassistenzausbildung zu beginnen, meint der Vorsitzende des Verbands der kommunalen Pflegeeinrichtungen (BKSB), Alexander Schraml (Foto), im Interview mit Care vor9. Denn seit Jahren verringert sich der Gehaltsunterschied zwischen Ungelernten und Qualifizierten, weil die Gewerkschaft an einem nivellierenden Gehaltskonzept festhält.

BKSB
Alexander Schraml ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen (BKSB)
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Mit welchen Gefühlen verfolgen Ihre Mitgliedseinrichtungen die momentanen Tarifverhandlungen?
Einige kommunale Träger haben eine gewisse Erhöhung schon eingeplant. Da die Pflegesatzverhandlungen aber immer prospektiv geführt werden, besteht die Gefahr, dass man zu wenig verhandelt hat: Weil man als Träger mit seiner Prognose oder Hochrechnung daneben gelegen oder sich die Gehaltssystematik geändert hat.
Wer seine Pflegesätze zum 1. Januar verhandelt hat, erlebt dann möglicherweise, dass er ab März statt beispielsweise 2,5 Prozent vier Prozent mehr Gehalt zahlen muss, wenn es bei den Tarifverhandlungen doch einen höheren Abschluss gab als kalkuliert. Vielleicht berücksichtigen die Pflegekassen das, aber eigentlich sind rückwirkende Leistungsvergütungen nicht vorgesehen im System.
Es ist also auch möglich, dass der Träger die Differenz nicht zurückbekommt. Dann erhält er ein Jahr lang eine zu niedrige Refinanzierung. Das ist in der Altenpflege besonders schwer zu kompensieren, weil wir mit 80 Prozent eine noch höhere Personalquote als die Krankenhäuser haben, wo sie maximal 70 Prozent ausmacht.
Wäre es möglich, einfach mit der Verdi-Forderung in die Pflegesatzverhandlung zu gehen? Jetzt zum Beispiel also von acht Prozent Gehaltssteigerung auszugehen?
Das wäre ein sehr guter Ansatz – aber bei den Kostenträgern nicht durchsetzbar. Die Erfahrung zeigt ja auch, dass Forderungen einer Tarifvertragspartei nie uneingeschränkt Vertragsinhalt werden.
Was halten Sie von den Verdi-Forderungen?
Grundsätzlich gönnt man dem Personal natürlich gute Einkünfte. Gleichzeitig sind die Verzögerungseffekte immer ein Thema. Wir müssen mit den immens hohen Pflegesätzen in den Markt gehen. Sie bedeuten Pflegekostensteigerungen – und damit auch eine entsprechende Steigerung der Eigenanteile für die Bewohner – von mehreren hundert Euro im Jahr.
Das Schlimmste aber: Die Gehaltsstruktur schafft null Anreize für Pflegehilfskräfte, eine Assistenzausbildung zu machen. Sie fragen sich natürlich, warum sie noch mal die Schulbank drücken sollen, wenn sie dafür am Ende nur wenige Euro mehr pro Monat erhalten. Das ist gerade jetzt, da wir wegen der neuen Personalbemessung so dringend Assistenzkräfte brauchen, eine Katastrophe.
Die nivellierende Gehaltsstruktur beklagen viele Arbeitgeberorganisationen, die Caritas Dienstgeber zum Beispiel...
...ja, das war schon immer Gewerkschaftspolitik. Aber das ist in den letzten Jahren eben immer schlimmer geworden. Es geht auch nicht nur um die Assistenzausbildung. Die nivellierende Gehaltspolitik hat auch einen negativen Effekt auf die Ausbildung von Pflegefachkräften.
Inwiefern?
Unsere Mitglieder haben schon immer viele Pflegehilfskräfte zu Fachkräften umgeschult. Aber das wird für sie jetzt auch immer teurer. Die Hilfskräfte bekommen seit Langem während der Ausbildung ihr normales Pflegehilfskräfte-Gehalt weiter gezahlt. Das müssen die Arbeitgeber nicht allein finanzieren, es gibt die Ausbildungsumlage und Zuschüsse von der Agentur für Arbeit. Aber es bleibt eine gewisse Differenz, die der Träger übernehmen muss und die wird nun immer größer, je mehr die Vergütungen im Pflegehilfskräfte-Bereich steigen. Zwischen 15.000 bis 20.000 Euro bleiben inzwischen pro Auszubildenden am Arbeitgeber hängen.
Die Hilfskräfte beziehungsweise Umschüler, das darf man nicht vergessen, sind eine ganz wichtige Zielgruppe für die Pflegefachausbildung. Da gibt es viele Frauen in ihren Vierzigern, die, wenn die Kinder aus dem Haus sind, den Kopf für die Ausbildung frei haben. Aber denen kann man natürlich kein Azubi-Gehalt zumuten.
Worin besteht dann die Lösung? Man kann von Verdi nicht erwarten, für Hilfskräfte weniger Gehaltssteigerung zu fordern.
Das stimmt. Aber die Sockelbeträge sind das Problem. Jetzt fordert Verdi wieder 350 Euro Gehaltssteigerung, mindestens. Die Zahlung dieses Sockelbeitrags bedeutet oft, dass Pflegehilfskräfte prozentual betrachtet eine höhere Gehaltssteigerung erhalten als Pflegefachkräfte. Das führt dazu – befeuert auch noch durch die Inflation –, dass der Zugewinn an Kaufkraft für die Pflegefachkraft geringer ausfällt.
Durch den Sockelbetrag schwindet automatisch der Unterschied, das verschweigen die Gewerkschaften gern. Durch eine ganz normale prozentuale Gehaltssteigerung würde sich das Problem sich nicht so drastisch zuspitzen. Ich stamme selbst aus einem Arbeiterhaushalt und kann den Ruf nach Gehaltssteigerungen nachvollziehen. Aber es bleibt nun einmal dabei: Pflegehilfskräfte verrichten angelernte Tätigkeiten, Pflegefachkräfte in der Altenpflege tragen heute mit der Einführung der neuen Personalbemessung und den Vorbehaltsaufgaben so viel Verantwortung wie nie zuvor. Da muss es eine deutliche Differenzierung geben.
Kirsten Gaede