Die generalistische Ausbildung hat der Altenpflege geschadet
Die Einführung der generalistischen Ausbildung war aus der Sicht des Managements stationärer und ambulanter Altenpflege ein Fehler. Dieses klare Urteil fällen mehr als 400 Teilnehmer einer Umfrage von Care vor9. 71 Prozent halten die Generalistik für falsch, nur 25 Prozent sehen darin einen Erfolg, vier Prozent sind unentschlossen. Fast 90 Prozent der Umfrageteilnehmer sind Geschäftsführer, Einrichtungsleiter oder arbeiten in leitender Funktion.
Die Mehrheit der Umfrageteilnehmer teilt auch die Meinung, dass die Generalistik zu einer Schmalspurausbildung in der Altenpflege geführt hat, weil die Azubis mehr lernen müssen und weniger Zeit in der Langzeitpflege verbringen. 65 Prozent stimmen dem zu. 29 Prozent hielten dagegen, sechs Prozent antworteten mit "weiß nicht".
"Das Zusammenlegen der drei Ausbildungen hat leider nicht zu einer Aufwertung des Berufsbildes geführt", schreibt ein Umfrageteilnehmer. "Die Schüler sind kaum in den Stammeinrichtungen, das Fachwissen ist zu geballt, sehe schwarz für möglich neue Fachkräfte", kommentiert ein anderer.
Für manche Einrichtung war die Generalistik auch das Ende der Ausbildung. "Wir hatten zwei Generalisten in der Ausbildung, die beide abgebrochen haben. Danach haben wir unsere Ausbildungsbemühungen eingestellt. Früher haben wir als keines Haus mindestens einen Altenpfleger pro Jahr ausgebildet. Nun warten wir ab, ob nicht die alte Altenpflegeverordnung wieder in Kraft gesetzt wird. Sollte das so sein, werden wir sofort wieder mit Ausbildung beginnen."
Stimmung in der Altenpflege gegen die Generalistik
Die Generalistik bewegt die Gemüter in der Altenpflege. Das wird an hunderten Kommentaren deutlich, die die Teilnehmer in der Umfrage von Care vor9 verfassten. Hier ein Querschnitt der Stimmen:
- "Die Fachkräfte, die nun ausgebildet werden, haben nur ein 'Halbwissen', sie schnuppern überall nur rein, haben kaum die Möglichkeit irgendwo richtig anzukommen."
- "Die Auszubildenden sind über lange Zeiträume nicht im Ausbildungsbetrieb, entwickeln keine Zugehörigkeit zum Betrieb."
- "Von 20 Abgängern der bisherigen Altenpflegeschule ging nur eine im Anschluss in die Altenpflege."
- "Stationäre Senioreneinrichtungen brauchen Pflegekräfte, die in der Lage sind, auch Beziehungspflege zu gestalten. Das geht durch die Generalistik verloren."
- "Die Schüler lernen den Alltag in ihrer Stammeinrichtung kaum kennen und fangen nach der Ausbildung ohne jegliche Routine als Fachkraft an."
- "Fest steht, dass man nicht drei Berufe in der gleichen Zeit lernen kann. Da bleibt leider viel auf der Strecke. Am Ende werden sehr viele Weiterbildungen benötigt."
- "Die vor allem in der Altenhilfe relevanten Inhalte gehen mehr und mehr verloren."
- "Es sind und bleiben drei verschiedene Aufgabenfelder, welchen die generalisierte Ausbildung nicht gerecht werden kann. Ein Säugling und dessen Eltern benötigen eine andere Empathie und Betreuung als eine 90-jährige Person."
- "Bewohnerorientierung mit Nähe und Distanz kann kaum noch gelernt werden. Die wichtige Beziehungsarbeit bleibt auf der Strecke."
- "Die Leute finden bei uns keine Heimat mehr. Darüber hinaus dürfen sie kaum etwas selbstständig machen, sondern laufen nur mit... Sie können praktisch weniger als unsere angelernten Helfer."
- "Drei unterschiedliche Berufe werden in einen Topf geworfen; zwei bleiben auf der Strecke – die Kinderkrankenpflege und die Altenpflege."
- "Viele Azubis schaffen die Anforderungen nicht. Früher hatten die Azubis die Möglichkeit, von der Krankenpflege in die Altenpflege zu wechseln."
- "Der Kreis der potenziellen Azubis hat sich stark eingeschränkt. Ausbildung über den 2. Bildungsweg, mit Kindern oder auch Alleinerziehend ist nahezu unmöglich geworden."
- "Es kommen jetzt noch viel mehr Auszubildende mit Migrationshintergrund in die Pflege. Teilweise tolle Menschen, die das praktisch auch richtig gut machen, aber aufgrund der Sprache jetzt in der Generalistik mit den Fragestellungen in den Schulen nicht klarkommen."
Fürsprecher argumentieren anders
Es gibt aber auch andere Meinungen: "Die hohe Abbrecherquote zeigt doch, dass mit dem alten Altenpflegegesetz jeder durch die Ausbildung kam... Die Standards sind höher in der Generalistik und das ist auch gut so. Die Altenpflege muss lernen, attraktiver zu werden und nicht alles und jeden einstellen." Oder: "Die Altenpflege musste dringend aufgewertet werden. Das war durch die Generalistik möglich."
"In keinem anderen europäischen Land ist meiner Kenntnis nach die Ausbildung in der Altenpflege separat geregelt", argumentiert ein Umfrageteilnehmer. "Wenn wir unseren jungen Menschen eine europäische Zukunft sichern wollen, ist die Generalistik unerlässlich." Ein anderer bläst ins gleiche Horn: "Endlich hat sich Deutschland dem europäischen Standard angenähert."
An der nicht repräsentativen Umfrage von Care vor9 haben 408 Leser teilgenommen. 70 Prozent von ihnen arbeiten in der stationären Pflege, 20 Prozent in der ambulanten Pflege, 10 Prozent im Betreuten Wohnen und in anderen Bereichen. 52 Prozent begleiten die Position eines Geschäftsführers oder Einrichtungsleiters. 36 Prozent sind Abteilungsleiter oder haben eine leitende Funktion. Sechs Prozent sind Fachkräfte, ebenso viele gaben Sonstige an.
Thomas Hartung