Institut der deutschen Wirtschaft nimmt Pflegegeld aufs Korn
Sinn und Zweck des Pflegegeldes gründlich überdenken - das empfiehlt das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) in seinem Gutachten "Anforderungen an ein zukunftsfähiges Pflegewesen". Die Verwendung des Pflegegeldes sei nicht zweckgebunden und es bleibe unklar, ob die Pflegebedürftigen die finanzielle Unterstützung überhaupt benötigten, heißt es in der Analyse, die der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) in Auftrag gegeben hatte. Zudem rüttelt das Gutachten an der Maxime "ambulant vor stationär".

IW
Das Institut der deutschen Wirtschaft meint: Es sei wichtig, bei der Pflegeversicherung endlich auf die Ausgaben zu schauen
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Um die Pflegeversicherung wieder auf Kurs zu bringen, sei es nicht ratsam, auf zusätzliche Einnahmenquellen zu schauen, schreiben die IW-Autoren Jochen Pimpertz und Ruth Maria Schüler. Es gelte stattdessen "Entlastungen auf der Ausgabenseite zu realisieren, die eine Versorgung mit pflegerischen Kernleistungen nicht gefährden". Die in diesem Zusammenhang oft monierten versicherungsfremden Leistungen erwähnen sie nur kurz. Ausführlich hingegen gehen sie auf das Pflegegeld ein.
Der Anteil des Pflegegelds an den Gesamtausgaben der Pflegeversicherung macht 28 Prozent aus. Kein Wunder, denn fast zwei Drittel der Pflegebedürftigen, die eine Pflegehauptleistung beanspruchen, erhalten Pflegegeld. "Auch hier sticht die Sprungstelle hervor, die sich im Jahr 2017 mit der Neudefinition des Pflegebegriffs ergeben hat", heißt es in dem Gutachten. Wie schon so viele Krankenkassen, führen auch die IW-Autoren die extrem gestiegenen Pflegekosten auf die hohe Zahl der Anspruchsberechtigten seit Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs 2017 zurück.
Die Autoren führen drei Gründe an, weshalb Sinn und Zweck des Pflegegelds infrage zu stellen sei:
- Das Pflegegeld wird ab Pflegegrad 2 ausgezahlt, ohne sicherzustellen, ob der Empfänger es zweckgebunden für pflegebezogene Aufwendungen einsetzt.
- Selbst wenn er es zweckgebunden verwendet, ist nicht gewährleistet, dass die Pflege, die der Empfänger mit dem Geld erwirbt, den Qualitätsstandards einer professionellen Pflege entspricht.
- Und nicht zuletzt, argumentieren die Autoren: Es sei völlig ungeklärt, ob der Haushalt eines Pflegebedürftigen nicht in der Lage ist, die Pflege aus eigener Tasche zu zahlen.
Pimpertz und Schüler schlagen in ihrer Argumentation einen Bogen zur stationären Langzeitpflege, in der Eigenanteile normal sind. In einer kürzlichen IW-Untersuchung habe sich gezeigt: Sieben von zehn Rentnerhaushalten wären 2023 rechnerisch in der Lage gewesen, die Eigenanteile an den stationären Pflegekosten für eine Person bis zu fünf Jahre aus laufendem Alterseinkommen und zuvor gebildetem Vorsorgevermögen zu tragen. "Übertragen auf den Pflegegeldbezug ist zu vermuten, dass sich vergleichbare Finanzierungspotenziale ergeben, sollte die Pflegegeldleistung zweckgebunden und abhängig von materiellen Unterstützungsbedarfen ausgezahlt werden", heißt es im Gutachten.
"Angesichts immer neuer Defizite in den Pflegekassen müssen die Kosten einer wenig treffsicheren Sozialpolitik gegen die Folgen stetig steigender Beitragssätze abgewogen werden." So der Kommentar der Autoren zu ihrem Vorschlag, auf der Ausgabenseite – und damit unter anderem beim Pflegegeld – anzusetzen. Sie argumentieren in ihrem Gutachten ausführlich gegen die Forderung der Sozialverbände, die prekäre Situation der Pflegeversicherung zu stabilisieren, indem man die Einnahmenseite ins Visier nimmt und die Beitragspflicht auf bislang beitragsfreie Einkommensbestandteile oder Privatversicherte ausdehnt. Das sei nur eine kurzfristige Lösung, sie wirke nicht langfristig.
"Ambulant vor stationär" – IW zweifelt Allgemeingültigkeit der Maxime an
Die Autoren rütteln in ihrem Gutachten auch an der Maxime "ambulant vor stationär". Ihr zentrales Gegenargument lautet: Skalierungspotenziale, die eine Refinanzierung notwendiger Investitionen erleichtern, ließen sich in der vollstationären Pflege leichter heben als in der ambulanten Versorgung. "Denn Investitionen werden sich betriebswirtschaftlich umso eher rechnen, je häufiger eine ressourcensparende Technologie angewendet werden kann."
Allerdings meinen sie mit ihrem Einwand nicht, dass die Maxime jetzt – oder in späteren Jahren, wenn sich die Situation in der Altenpflege noch weiter zugespitzt hat – umgedreht werden müsse. Es gehe darum, regional differenzierte Lösungen zu entwickeln. Denn in den Regionen entwickelten sich die Pflegebedarfe, aber "auch die Voraussetzungen und Möglichkeiten, diese pflegerisch zu versorgen" ganz unterschiedlich.
Die Pflegepolitik müsse darauf mit flexibleren Regelungen reagieren. "Diese Herausforderungen werden sich mit einer Konzentration auf Finanzierungsfragen ebenso wenig bewältigen lassen wie mit einheitlichen Versorgungsstandards, insbesondere nicht mit starren Vorgaben für den Personaleinsatz", so das Fazit der Autoren.
Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ist eines der einflussreichsten Wirtschaftsinstitute: seine Trägervereine sind die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Bundesverband Deutsche Industrie (BDI).
Das vom BPA beauftragte Gutachten "Anforderungen an ein zukunftsfähiges Pflegewesen: Die Pflegewirtschaft zwischen steigenden Pflegebedarfen und zunehmendem Arbeitskräftemangel" steht auf der IW-Website kostenlos zum Download bereit.