Bundeskabinett beschließt umstrittenes Pflegegesetz
Trotz massiver Kritik von allen Seiten hat das Bundeskabinett das Pflegeunterstützungs- und entlastungsgesetz von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (Foto) beschlossen. Bereits zum 1. Juli dieses Jahr wird der Beitrag zur Pflegeversicherung erhöht. Mehr Leistungen für die Pflegebedürftigen gibt es erst ab kommenden Jahr. Träger und Betreiber von Einrichtungen kommen in dem Gesetz praktisch nicht vor. Zudem wurden Fördergelder für Modellvorhaben und bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege aus dem Entwurf gestrichen.
Der Beitrag zur Pflegeversicherung steigt Mitte des Jahres für Kinderlose um 0,35 Punkte auf vier Prozent. Wer Kinder hat, zahlt weniger. Dabei verändert sich immer nur der Arbeitnehmeranteil. Der Arbeitgeberanteil beträgt immer 1,7 Prozent. Die Erhöhung soll pro Jahr 6,6 Milliarden Euro mehr in die Pflegekasse spülen, rechnet der Bundesgesundheitsminister vor.
Erst zum Jahreswechsel gibt es dafür eher bescheidene Mehrleistungen. Das Pflegegeld für Menschen, die zu Hause wohnen und Hilfe brauchen, wird zum Beispiel zum 1. Januar 2024 um gerade mal fünf Prozent erhöht. Angesichts massiver Teuerung und der Tatsache, dass die letzte Erhöhung bereits sechs Jahre zurückliegt, für viele Sozialverbände ein Tropfen auf den heißen Stein.
Die ambulanten Sachleistungsbeträge werden ebenfalls fünf Prozent angehoben. Um die stark gestiegenen Eigenanteile bei stationärer Unterbringung abzufedern, sind auch hier zum Jahreswechsel höhere Zuschläge geplant. Die je nach Verweildauer gestaffelten Sätze werden um jeweils fünf Prozentpunkte angehoben.
Digitaler Druck und gestrichene Förderungen
Um die Digitalisierung in der Pflege voranzutreiben, sollen die Pflegekassen ein Kompetenzzentrum einrichten. Ambulante und stationäre Einrichtungen werden dazu verpflichtet, bis 1. Juli 2025 den Anschluss an die Telematikinfrastruktur und die elektronische Patientenakte umzusetzen. Das Förderprogramm für digitale Anschaffungen der Pflegeeinrichtungen soll ausgeweitet und bis Ende des Jahrzehnts verlängert werden.
Ein ursprünglich geplantes Informationsportal für freie Heimplätze findet sich im aktuellen Gesetz nicht mehr. Gestrichen wurde auch ein Fördertopf für innovative Modellvorhaben in der Pflege und die Förderung von guten Arbeitsbedingungen in der Pflege.
Heftige Kritik an Lauterbach von allen Seiten
"Die Bundesregierung blendet die zunehmend wirtschaftlich brisante und existenzbedrohende Lage vieler Pflegeeinrichtungen vollständig aus", sagt Bernd Meurer, Präsident des Bundesverband privater Anbieter sozialer Leistungen (BPA). "Die Sicherung der Pflege hat für die Ampelregierung keine Priorität", kritisiert er.
"Der Gesetzentwurf zur Pflege ist eine Mogelpackung und hat seinen Namen nicht verdient", sagt Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgeberverbands AGVP. Die Versorgungssicherheit sei weiterhin "akut gefährdet". Der Gesetzentwurf stabilisiere kurzfristig die Finanzen der Pflegeversicherung, verfehle aber darüber hinaus seine Wirkung. "Mit diesem Entwurf steuern wir weiter in die Versorgungskatastrophe."
"Die Maßnahmen sind ein Tropfen auf den heißen Stein und lösen die Probleme in der Pflege nicht", kommt auch Kritik von Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. "Ich erwarte von Karl Lauterbach, dass er sich endlich für die Pflege ins Zeug legt – für die Pflegebedürftigen, für die pflegenden Angehörigen und für die Beschäftigten... Sie alle baden jeden Tag aus, dass der Gesundheitsminister keine Pflegereform auf den Weg bringt, die ihren Namen verdient."
Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa vermisst vor allem eine spürbare Entlastung bei der häuslichen Pflege: "Unverständlich ist vor allem, dass das Entlastungsbudget für pflegende Angehörige, entgegen der Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag, aus dem Gesetzentwurf herausgenommen wurde."
"Halbherzig und völlig unzureichend", nennt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, das Gesetz. Die Finanzierung der Pflegeversicherung sowie die wachsende Armut durch Pflegebedürftigkeit seien die Schlüsselthemen, für die es eine entschlossene Reform brauche."Diese bleibt der Bundesgesundheitsminister weiter schuldig."