Auch Teilzeitkräfte haben Anspruch auf Überstundenzuschläge
Teilzeitkräfte haben denselben Anspruch auf Überstundenzuschläge wie Vollzeitkräfte. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. Geklagt hat eine Pflegekraft aus Hessen, die bei einem ambulanten Dialyseanbieter auf einer 40-Prozent-Stelle viele Überstunden leistete. Im Haustarifvertrag ihres Arbeitgebers ist aber ein Zuschlag von 30 Prozent erst bei Überschreiten der regulären Vollbeschäftigten-Wochenarbeitszeit vorgesehen. Das Urteil dürfte Folgen für fast alle Betreiber in der Branche haben – selbst für kommunale, die nach TVöD zahlen.

iStock/bunditinay
Teilzeitkräfte werden bei Personalengpässen gern eingesetzt, weil sie keine Überstundenzuschläge bekommen
So stemmen Sie den Generationswechsel in der Pflege
Bis 2035 wird rund jede fünfte Pflegefachkraft altersbedingt aus dem Beruf ausscheiden – und die nachrückende Generation Z bringt völlig neue Erwartungen mit. Wer junge Fachkräfte binden und gleichzeitig wirtschaftlich handlungsfähig bleiben will, braucht klare Strategien, zeitgemäße Strukturen und ausreichend Liquidität. Mit Factoring lassen sich Investitionen in Personal und Digitalisierung auch in angespannten Zeiten stemmen. Care vor9
Grundlage der BAG-Entscheidung (8 AZR 370/20) sind die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs zur Gleichbehandlung. Das BAG betrachtet die Überstunden-Regelung im Manteltarifvertrag des Dialyseanbieters (Basis des Haustarifvertrags) deshalb als Verstoß gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten. Der Paragraph 10 (Ziffer 7, Satz 2) im Manteltarifvertrag sei unwirksam, denn es gebe keinen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitkräften. Der Arbeitgeber muss der Pflegekraft die Zuschläge für ihre angesammelten Überstunden nachzahlen.
Zur Begründung heißt es vom Bundesarbeitsgericht außerdem, durch die tarifvertragliche Regelung sei die Klägerin mittelbar auch wegen ihres Geschlechts benachteiligt. Schließlich seien 90 Prozent der Beschäftigten, die unter den Manteltarifvertrag fallen, Frauen. Für diese Diskriminierung soll die Pflegekraft von ihrem Arbeitgeber eine Entschädigung in Höhe von 250 Euro erhalten.
BAG-Entscheidung wird in den Tarifverhandlungen eine Rolle spielen
Die BAG-Entscheidung könnte Kreise ziehen. Denn selbst im Tarifvertrag des Öffentlichen Diensts (TVöD) der kommunalen Arbeitgeber, der als Goldstandard gilt, ist der Überstundenzuschlag erst ab 38 oder 39 Wochenstunden vorgesehen.
Bei der Gewerkschaft Verdi heißt es, viele Arbeitgeber würden bei Personalengpässen bevorzugt Teilzeitkräften einsetzen, weil sie für deren Überstunden bisher keine Zuschläge zahlen müssten. Verdi-Sprecher Jan Jurczyk auf Anfrage von Care vor9: "Die aktuellen Regelungen im TVöD haben uns dazu veranlasst, Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte bereits bei Überschreitung der individuell vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit zum Bestandteil des Forderungskatalogs für die bevorstehende Tarifrunde 2025, Beginn 24. Januar 2025, zu machen."
Das Arbeitsgericht hatte die Klage der Pflegekraft zunächst abgewiesen. Die Klägerin ging daraufhin in Revision. Das Landesarbeitsgericht hat ihr die geforderte Zeitgutschrift zuerkannt, ihren Entschädigungsforderungen wegen Diskriminierung aber ebenfalls abgewiesen. Das BAG als nächste Instanz hat dann zunächst den Europäischen Gerichtshof gebeten, das Unionsrecht in Hinblick auf den konkreten Fall auszulegen.
Kirsten Gaede